Nordrhein-Westfalen wählt: Parteien zur Wissenschaftspolitik

Am 15. Mai 2022 wählen die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen (NRW) einen neuen Landtag. Und auch für diese Wahl haben wir die Parteien mit realistischen Chancen auf einen Einzug in den Landtag nach ihren Positionen zu zentralen Fragen der Wissenschaftspolitik befragt. Hierbei sind aus unserer Sicht Themen wie die Hochschulfinanzierung, die Ausgestaltung moderner Qualifikationswege in der Wissenschaft und die Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren von besonderem Interesse. In NRW haben wir die Parteien darüber hinaus auch zur Digitalisierung in Hochschulen und zur Attraktivität des Bundeslandes als Wissenschaftsstandort befragt. Die Landtagswahl findet in unruhigen Zeiten statt, in denen der russische Angriffskrieg auf die Ukraine die Nachrichten dominiert und auch die Corona-Pandemie nach wie vor das gesellschaftliche Leben beeinflusst. Beide Themen scheinen jedoch für die Beantwortung unserer wissenschaftspolitischen Fragen keine oder nur eine geringe Rolle zu spielen. Hendrik Wüst ist erst seit Oktober 2021 der Ministerpräsident des Landes NRW und bewirbt sich nun zum ersten Mal selbst als Spitzenkandidat der CDU für den Verbleib im Amt. Welche Antworten die Politik auf unsere Wahlprüfsteine gibt, ist im Folgenden nachzulesen. Wir haben CDU, SPD, die Grünen, FDP, die Linke und die AfD angefragt. Erfreulicherweise haben uns alle Parteien geantwortet.

Mit Blick auf die Hochschulfinanzierung verweist die CDU mit konkreten Summen auf bereits erfolgte und geplante Mittelzuwächse, unter anderem im Rahmen des Zukunftsvertrags Studium und Lehre (ZSL) und der Qualitätsverbesserungsmittel für die Lehre. Der bisherige Regierungspartner FDP stellt in Aussicht, dass sie an diese Maßnahmen ebenfalls weiter anknüpfen möchte; sie verbindet dies aber mit strategischen Zielen der landesweiten Hochschulentwicklung. Die bisherigen Oppositionsparteien setzen andere Akzente: Die SPD möchte neben einer grundsätzlichen Stärkung der Universitäten und Hochschulen als „Herz des Wissenschaftssystems“ auch explizit die Ansiedlung weiterer außeruniversitärer Forschungsinstitute offensiv fördern. Die Grünen, die AfD und die Linke sehen vor allem den Bedarf für eine steigende Grundfinanzierung. Aus Sicht der Linken und der AfD soll dadurch insbesondere die Abhängigkeit von Drittmitteln reduziert werden.

In der Gesamtschau bewerten die befragten Parteien die vorzufindende Pluralität der Karrierewege in der Wissenschaft als positiv. Der Tenure Track wird von allen Parteien als wirksames und wichtiges Instrument gesehen, um wissenschaftliche Karrieren planbarer zu machen. Dementsprechend befürworten die Parteien das entsprechende Bund-Länder-Programm, für dessen Fortsetzung bspw. auch die AfD in ihrer Antwort wirbt. Aus Sicht der FDP und der CDU können Tenure-Track-Modelle gerade für Frauen Wissenschaftskarrieren attraktiver bzw. weniger abschreckend machen. Aus Sicht der Linken sollte ein Tenure Track grundsätzlich für alle befristete Post-Doc-Verträge vereinbart werden. Sie positioniert sich außerdem klar gegen befristete Beamt:innenstellen bzw. gegen befristete Stellen nach der Promotion im Allgemeinen. Selbst die FDP möchte „darauf hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden.“ Die Grünen möchten ebenfalls mehr Dauerstellen an den Hochschulen schaffen. Die CDU sieht außerdem weitere alternative Karrierewege im akademischen Mittelbau an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften.

Um hochqualifizierte Wissenschaftler:innen berufen zu können, befürwortet die Linke einen zahlenmäßigen Aufwuchs von Professuren. Als einzige Partei beschreibt sie das Lehrstuhlprinzip als „veraltet“ und wirbt für Departmentstrukturen. Die Grünen nennen als ihr Ziel ebenfalls die Schaffung von mehr Junior-, W2- und W3-Professuren. Sie schlägt hierfür als einzige Partei einen thematischen Schwerpunkt vor, nämlich die Digitalisierungsforschung einschließlich der Bereiche Künstliche Intelligenz, Quantentechnologien und -computing, Cybersicherheit und Data Science. Die CDU wirbt für einen Innovationsfonds mit zusätzlich 100 Mio. Euro zur Finanzierung von Spitzenforschung. Die SPD verweist lediglich auf die im Bund-Länder-Programm bereits enthaltenen Lösungsansätze. Die AfD sieht hingegen eher ein Nachwuchsproblem, das bereits vorhandene Stellen an Universitäten und Hochschulen teilweise nicht mehr mit geeigneten Personen besetzt werden können.

Hinsichtlich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sieht die SPD den dringenden Bedarf einer Novellierung, die es zu einem „Gesetz für gute Arbeit in der Wissenschaft“ weiterentwickeln will. Es soll dann eine mindestens dreijährige Vertragslaufzeit während der Promotion sowie einen Tenure Track oder eine Entfristung nach der Promotion bieten. Die Grünen und die Linke sehen ebenfalls Änderungs- und Reformbedarf. Die Linken nennen hierbei familienpolitische Komponenten sowie Verlängerungen wegen Behinderung oder chronischer Krankheit. Auch die FDP befürwortet eine Reform auf Basis der Evaluation des Gesetzes entsprechend der Koalitionsvereinbarungen auf Bundesebene. Die AfD nennt keine Änderungswünsche am Wissenschaftszeitvertragsgesetz selbst, formuliert aber das ambitionierte Ziel, dass „bis zum Ende der Legislaturperiode zwei Drittel aller Stellen in Lehre und Forschung in Nordrhein-Westfalen in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt werden.“ Die CDU nennt hingegen keine Pläne für die Zukunft, sondern schaut lediglich auf die Gegenwart und Vergangenheit, wie z. B. auf die während der Corona-Pandemie ermöglichte Verlängerung vertraglicher Höchstbefristungsgrenzen. Den Protest unter dem Stichwort #IchBinHanna greifen lediglich die Grünen explizit auf und sehen darin ein Zeichen für die „Schieflage innerhalb der Wissenschaftslandschaft in Deutschland.“ Als eine wesentliche Maßnahme für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaftskarriere nennen die SPD, die Grünen, die FDP und die CDU konkret den Ausbau der Kindertagesbetreuung. Die Linke und die SPD verweisen außerdem auf notwendige Verbesserungen an familienpolitischen Komponenten in Gesetzen und Regularien. Die Linke nennen hier konkret Vertragsverlängerungen wegen Behinderung oder chronischer Krankheit Die Linke sehen außerdem in einer konsequenten Umsetzung einer Arbeitszeiterfassung die Chance, Nachteile von Beschäftigten mit Care-Verpflichtungen zu reduzieren. Sie sehen zudem die Notwendigkeit, unfreiwillige Teilzeitarbeitsstellen abzuschaffen und Dienstvereinbarungen zum ortsflexiblen Arbeiten an allen Hochschulen einzuführen.

Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung von Forschung und Lehre einen zusätzlichen Schub verliehen. Die AfD sieht zwar einerseits den Bedarf für eine optimale digitale Ausstattung von Lehrstühlen für Forschungszwecke, betont aber anderseits, dass Lehrveranstaltungen generell in Präsenz und nur in Ausnahmen über digitale Medien stattfinden sollen. Die CDU, die FDP und die Grünen wollen hingegen auf Basis der in der Pandemie gemachten Erfahrungen Studium in Präsenz und digitales Lernen sinnvoll kombinieren und hierfür zum Teil auch Hochschulgesetze novellieren. Die Linke betont vor allem die Notwendigkeit einer adäquaten Ausstattung der Wissenschaftler:innen am Arbeitsplatz, in der Administration und von studentischen Arbeitsplätzen, auch mit Software von kleinen und unabhängigen Softwareanbietern. Die Grünen und die CDU sprechen außerdem explizit die Digitalisierung von Verwaltungs- und Serviceprozessen an, bspw. durch eine landesweit einheitliche „CampusApp“. Die SPD sieht mit Blick auf die Digitalisierung und Modernisierung an den Hochschulen vor allem einen Bedarf an dauerhafter Finanzierung. Sie möchte aber mit den Hochschulen erst einmal gemeinsam definieren, „welche zusätzlichen Investitionsmittel dauerhaft notwendig sind, um die fortlaufende Modernisierung der digitalen Infrastruktur abzusichern.“

Als weitere Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität des Landes NRW als Wissenschaftsstandort nennt die CDU ihre aktuelle Initiative „Research-Center Ruhr“, die mit 75 Mio. Euro das „Ruhrgebiet als Forschungs- und Wissenschaftsregion mit internationaler Strahlkraft stärken“ soll. Die SPD möchte die anwendungsbezogene Forschung stärken, Hochschulkooperationen fördern, Bürokratie abbauen und skizziert damit eher grobe Entwicklungslinien. Die FDP nennt die Förderung des Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Praxis, von Gründungen sowie des internationalen Austauschs von Studierenden und Wissenschaftler:innen als ihre Ziele. Die Grünen sehen hingegen die Notwendigkeit von Maßnahmen zur sozialen Unterstützung während des Studiums sowie zur Steigerung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Die Linke und die SPD setzen sich für eine weitere Demokratisierung von Hochschulen ein. Die Linke sieht außerdem den Bedarf für einen Ausbau von Radverkehr, ÖPNV und Wohnungsbau, um NRW als Wissenschaftsstandort attraktiv zu halten. Die AfD befürwortet als einzige Partei die Wiedereinführung von Studiengängen mit dem Abschluss Staatsexamen und Diplom. Aus ihrer Sicht sollten außerdem Maßnahmen ergriffen werden, um die Anzahl der Studienanfänger:innen grundsätzlich zu reduzieren und berufliche Ausbildungen wieder attraktiver zu machen. Sie versprechen sich dadurch auch eine Entlastung der Studierenden und Professor:innen und damit eine Verbesserung von Studienbedingungen.

Die Fragen sowie die ausführlichen Antworten der Parteien können unter https://www.dgj-wissenschaft.de/wahlpruefsteine-zur-landtagswahl-in-nordrhein-westfahlen-2022/ nachgelesen werden.