Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Bildung und Forschung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft

Die Koalition aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hat sich in ihrem Koalitionsvertrag mittels der Reform des evaluierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) zum Ziel gesetzt „die Planbarkeit und Verbindlichkeit in der Post-Doc-Phase deutlich [zu] erhöhen und frühzeitiger Perspektiven für alternative Karrieren [zu] schaffen“.  Dieses Ziel wird mit dem vorliegenden Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft eindeutig verfehlt. Die vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der Postdoc-Befristung werden gegenüber der aktuellen Gesetzeslage keine nennenswerten Verbesserungen der wissenschaftlichen Karrierewege anstoßen und laufen überdies Gefahr, mit anderen Rahmenbedingungen und Regelungen zu kollidieren.

Fehlende Harmonisierung mit den Karrierewegen Junior- und Tenure-Track-Professur
Durch die Regelungen zur Postdoc-Phase bleibt das unkoordinierte Nebeneinander der verschiedenen Karrierewege in der Wissenschaft bestehen. Grundsätzlich ist zu begrüßen, dass es mehr als einen Weg gibt, Wissenschaft als Beruf zu betreiben. Dennoch müssen diese Wege aufeinander abgestimmt werden. Der Referentenentwurf lässt vermuten, dass die bisherigen Unklarheiten und Vereinbarkeitsprobleme bestehen bleiben werden:

  • Die klassische Juniorprofessur (ohne Tenure Track) war ursprünglich als Alternative zum Postdoc nach WissZeitVG angelegt und hat deshalb eine Dauer von sechs Jahren. Bereits jetzt stellt sich das Problem, dass die Berufung auf Juniorprofessuren nicht direkt nach der Promotion erfolgt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt, sodass der Zeitpunkt der Berufung auf eine Lebenszeitprofessur bzw. der Erhalt einer Lebenszeitstelle nicht wesentlich früher erfolgt als bisher.
  • In Bezug auf Tenure-Track-Professuren stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Ruf auf diese Positionen erfolgen soll. Es ist davon auszugehen, dass der Ruf (ähnlich wie aktuell), unabhängig davon, ob die Professur mit W1 oder W2 einsetzt, frühestens nach Ablauf der ersten vierjährigen Postdoc-Befristung erfolgt, ggf. noch später. Auch hier gelingt es im vorliegenden Referentenentwurf nicht, eine höhere Verbindlichkeit zu schaffen.
  • Unklar ist der Status der Habilitation. Die vorgeschlagenen vier Jahre sachgrundlose Postdoc-Befristung reichen nicht für eine Habilitation aus, die aber vermutlich dennoch in den entsprechenden Fächern von den Stelleninhaber*innen erwartet werden wird. Damit erhöht sich in der Praxis nur der zeitliche Druck auf die Beschäftigten; eine wirkliche Verbesserung der Karriereperspektiven ist nicht erkennbar.

Die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes bietet die Chance, die Lösung dieser Vereinbarkeitsprobleme anzustoßen. Dazu freilich bedarf es einer mutigeren Reform der Postdoc-Phase, als sie mit dem aktuellen Entwurf vorliegt, der eher wie Stückwerk wirkt und nur punktuelle Verbesserungen vornimmt. Dabei wäre es dringend notwendig, das WissZeitVG als einen Baustein in einer größeren Vision einzubetten.

Keine frühere Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft
Angesichts der Regelungen zur Postdoc-Phase im Gesetzesentwurf ist nicht zu erkennen, wie die Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft künftig tatsächlich früher fallen soll. Die vorgeschlagenen Regelungen sehen zunächst eine vierjährige sachgrundlose Befristung nach der Promotion vor, an die sich eine weitere zweijährige Befristung mit Anschlusszusage anschließen soll (Modell 6 + 4 + 2A). Damit ist nominell die gleiche zwölfjährige Befristungsdauer vorgesehen wie
im aktuellen Wissenschaftszeitvertragsgesetz.

Fehlender Druck zur Entwicklung nachhaltiger Personalentwicklungskonzepte
Der Gesetzesentwurf macht es für die Hochschulen und Einrichtungen möglich, ihr wissenschaftliches Personal im Wesentlichen auf die bisherige Art und Weise zu beschäftigen und umfassend zu befristen. Bei entsprechend enger Begrenzung der Befristungsmöglichkeiten würden die Institutionen gezwungen, neue Personalkategorien zu entwickeln, bestehende Stellenmodelle zu harmonisieren und
nachhaltige Personalentwicklung zu betreiben. Diese Chance zum Anstoßen entsprechender Prozesse in
den Institutionen ist mit dem Referentenentwurf vertan worden.

Unklarheit der Evaluationskriterien für eine Anschlusszusage
Der aktuelle Reformvorschlag lässt offen, nach welchen Kriterien im Anschluss an die zweite Postdoc-Phase von zwei Jahren eine Entfristung erfolgt. Hier müssen dringend weitere Vorgaben gemacht werden. Aus den Erfahrungen mit den Evaluationen von Junior- und Tenure-Track-Professuren wissen wir, dass Kriterien und Prozesse sehr häufig unklar und intransparent sind. Erst in jüngster Zeit bilden sich hier gewisse Standards heraus. Die Einführung der Anschlusszusage im Rahmen des Angestelltenverhältnisses wirft diese Frage erneut auf – mit rechtlichen Unsicherheiten sowohl für die Beschäftigten als auch für die arbeitgebenden Institutionen.

Zwei-Jahres-Phase mit Anschlusszusage wird in der Praxis nicht genutzt werden
Während ein Zeitraum von vier Jahren sehr gut geeignet ist, ein eigenes wissenschaftliches Profil zu entwickeln, auf dessen Basis eine Entfristung erfolgen kann, ist unklar, welche zusätzlichen Leistungen innerhalb der daran anschließenden zwei Jahre erbracht werden sollen, die nicht bereits in der längeren Phase vorher erbracht bzw. in die Wege geleitet worden sind. Es ist davon auszugehen, dass Hochschulen und Institutionen ihr Personal nach den ersten vier Jahren austauschen bzw. auf Drittmitteln weiterbeschäftigen werden und von der zweiten Postdoc-Phase von zwei Jahren mit Anschlusszusage in der Praxis kein Gebrauch gemacht werden wird.

Die Anschlusszusage greift nur bei möglichst frühem Einsatz des Instruments
Das Instrument der Anschlusszusage bleibt wirkungslos, wenn es nicht zu einem möglichst frühen Zeitpunkt greift. Während vier Jahre eine brauchbare Zeitspanne für die wissenschaftliche Profilierung darstellen, sind sie deutlich zu lang für eine Zeitspanne ohne Anschlusszusage und setzen die Wirkung dieses Instruments außer Kraft. Um die Phase vor Einsetzen der Befristung mit Anschlusszusage möglichst kurz zu gestalten, ist als Alternative zum vorgeschlagenen Modell 6+4+2A denkbar, eine zweijährige sachgrundlose Befristung in der Postdoc-Phase mit anschließender vierjähriger Befristung
mit Anschlusszusage (Modell 6+2+4A) zu etablieren.

Da starre Jahresfristen nur schwer mit den individuellen Karrierewegen in der Wissenschaft vereinbar sind, schlagen wir ergänzend eine Befristungsquote von mittelfristig beispielsweise 50% für forschende Postdocs vor. Zusätzlich schlagen wir ein Status-Upgrade für Postdocs vor, welche zukünftig nicht mehr einzelnen Lehrstühlen zugeordnet, sondern zentral bei den Universitäten angestellt werden sollen. Dort erhalten sie sinnvolle, karrierefördernde Fortbildung und können sich aussuchen,  welche Forschungsprojekt sie bearbeiten wollen. Für Daueraufgaben wie z.B. Lehre oder das Management einer core facility sollen neue Stellenkategorien mit Dauerstellen geschaffen werden.

Es braucht eine echte Reform der wissenschaftlichen Befristungspraxis im Sinne der nationalen und internationalen Konkurrenzfähigkeit in Zeiten des Fachkräftemangels
Der vorliegende Gesetzesentwurf löst das Versprechen einer wirklichen Reform wissenschaftlicher Karriereperspektiven nicht ein. Dazu kann und muss das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ein erster wichtiger Baustein sein. Hierfür braucht es allerdings weitgreifendere Änderungen in diesem Bereich, als sie aktuell vorgesehen sind. In der derzeitigen Form droht die Reform zu verpuffen, weil sie kaum mehr als kosmetische Korrekturen vornimmt und der Status quo im Kern erhalten bleibt.

Dies ist eine große Gefahr für Deutschland als Wissenschaftsstandort, denn schon jetzt sind wissenschaftliche Stellen auf allen Karrierestufen merklich schwerer zu besetzen als in der Vergangenheit. Wenn wir dem wissenschaftlichen Personal keine attraktiven und frühen Karriereperspektiven bieten können, wird die deutsche Wissenschaft weder mit der Industrie
noch mit dem Ausland dauerhaft konkurrenzfähig bleiben.

Es ist äußert bedauerlich, dass nach den zahlreichen Gesprächen und Diskussionen im Vorfeld zur WissZeitVG-Reform und dem damit kommunizierten Wunsch nach einer nachhaltigen Verbesserung der wissenschaftlichen Karrierewege nun ein Referentenentwurf vorliegt, der so deutlich hinter dieser Zielsetzung zurückbleibt. Wir sind nach wie vor gerne bereit, uns in eine konstruktive Diskussion zur Weiterentwicklung des vorliegenden Gesetzentwurfs einzubringen.