Die Deutsche Gesellschaft Juniorprofessur sieht in den folgenden Bereichen Handlungsbedarf:
I. Freiheit von Forschung und Lehre
Bei Junior- und TT-Professor*innen besteht in ihrer Bewährungsphase die Gefahr, dass sie in der Praxis ihren auf Lebenszeit berufenen Kolleg*innen nicht gleichgestellt, sondern in vielerlei Hinsicht von diesen abhängig sind. Diese Abhängigkeiten, die sich allein aus dem Umstand ergeben, dass die Kolleg*innen über die Verstetigung der JPs und TTs entscheiden, können die gewünschte ‚frühe Selbstständigkeit‘ in Forschung und Lehre unterbinden und schaffen dann eine Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Statusgruppe der Professor*innen. Unabhängigkeit ist überdies nur dann gegeben, wenn den Junior- und TT-Professor*innen in ihrer Bewährungsphase eine eigene Ausstattung zukommt (Sach- und Personalmittel), statt sie in der Praxis wie jetzt oft einem Lehrstuhl zuzuordnen. Entsprechend müssen Regelungen etabliert werden, die sicherstellen, dass diese Unabhängigkeit standortübergreifend für alle Junior- und TT-Professor*innen gewährleistet ist und somit Freiheit von Forschung und Lehre sichergestellt sind.
Weiterhin sind durch ihre zeitlich befristeten Verträge Junior- und TT-Professor*innen in ihrer Bewährungsphase in der Gremienarbeit auf Lebenszeit verbeamteten Professor*innen de facto nicht gleichgestellt. Die Promotionsbetreuung durch noch nicht verstetigte Personen ist in der Praxis nicht sicher für die gesamte Dauer eines Promotionsprojekts gewährleistet. Promovierende, deren Betreuer*innen Juniorprofessor*innen oder TT-Professor*innen in der Bewährungsphase sind, gehen ein hohes individuelles Risiko ein, weil nicht sichergestellt ist, dass ihre Betreuer*innen zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Promotion überhaupt noch zur Verfügung stehen.
II. Rechtliche Aspekte
Angesichts der Umstellung auf TT ist der Status der W2-Professur unklar. Die W2-Professur existiert aktuell einerseits als ‚Bewährungsprofessur‘ und ist damit W1 gleichgestellt, andererseits nach wie vor als erste Lebenszeitprofessur, was sie tendenziell mit W3 vergleichbar macht, zumal hier in der Regel die Habilitation oder das Habilitationsäquivalent als Voraussetzung in den Hochschulgesetzen der Länder genannt wird, was mit den Zielen des TT-Programms des Bundes kollidiert. Nötig ist eine Reform der Professurenbesoldung, die diese Unstimmigkeit ausgleicht: Es sollte wie aktuell bereits in einigen Bundesländern praktiziert bundesweit nur noch zwei Unterformen geben – eine ‚Bewährungsprofessur‘ (generell ohne Habilitation als Voraussetzung) und eine Lebenszeitprofessur (erreichbar entweder durch Habilitation oder über erfolgreiches TT). Hier muss ebenfalls die Frage der Kommissionsarbeit geregelt werden, da aktuelle für bestimmte Kommissionen (etwa Berufungen) die Habilitation Voraussetzung ist, was der Grundidee der Junior- und TT-Professuren zuwiderläuft.
Zwischenevaluationen sollten generell als Feedback gestaltet werden. Aktuell dienen die Rückmeldungen aus dem Kollegium häufig eher einer Beurteilung, was die JPs/TTs dazu zwingt, vor allem Erwartungen erfüllen zu müssen. Hier sollte aber weniger die Beurteilung als das Mentoring im Vordergrund stehen. Entsprechend müssen die Kandidat*innen einen Anspruch auf Einsicht in die Begründungen der Kommissionen haben, statt nur das reine Ergebnis der Evaluation (positiv oder negativ) zu erfahren. Dazu können (anonymisierte) Auszüge aus den Kommissionsunterlagen dienen oder spezielle Rückmeldungsdokumente erstellt werden, damit die Kandidat*innen eine konkrete Rückmeldung zu den unterschiedlichen Aspekten der Bewertung (z. B. Forschung, Lehre, Selbstverwaltung) erhalten, auf deren Basis sie gezielte an einzelnen Bereichen arbeiten können.
III. Zeitpunkt der Entfristung
Eines der Kernprobleme des aktuellen Systems besteht darin, dass die Entscheidung über den dauerhaften Verbleib in der Wissenschaft (Entfristung/Verbeamtung auf Lebenszeit) erst sehr spät fällt. Junior- und vor allem Tenure-Track-Professuren können ein wichtiges Mittel sein, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Voraussetzung dafür ist aber, dass die Berufung auf nicht zu spät nach der Promotion erfolgt. Jedoch sind hier numerische Werte (z. B. 4 oder 6 Jahre nach der Promotion) nicht hilfreich bzw. sollten bestenfalls als Richtwerte, nicht als feste Vorgabe verstanden werden, um Benachteiligungen für Menschen mit familiären Belastungen, Erkrankungen etc. zu vermeiden.
Entscheidende Voraussetzung für die Berufung auf die Junior- oder Tenure-Track-Professur muss indes sein, dass die Kandidat*innen neben der Promotion sich eigenständig ein zweites Forschungsthema erschlossen haben, d.h. erste Schritte einer eigenständigen Forschungstätigkeit gemacht haben und dazu erste Forschungserfolge (Tagungen, Publikationen, Drittmittel) vorliegen haben. Die Leistungen sollten aber nicht bereits die Habilitationsäquivalenz erreichen, sondern zeigen, dass die Kandidat:innen vielversprechend und erfolgreich eine JP abschließen können. Sofern diese bzw. die Habilitation selbst vorliegt, ist sofort auf Lebenszeit zu berufen.
IV. Diversität
Die Universitäten sind in der Pflicht, die Rahmenbedingungen wissenschaftlicher Arbeit so zu gestalten, dass benachteiligten Gruppen keine zusätzlichen Hürden entstehen. Die Professur ist ein wichtiger Hebel zur Förderung an den Universitäten unterrepräsentierter Gruppen, da erst eine diverse Professorenschaft entsprechende Vorbildwirkung entfaltet. Unklare Karriereperspektiven erschweren Erstakademiker*innen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit familiären Belastungen und chronischen Erkrankungen, im deutschen Wissenschaftssystem dauerhaft Fuß zu fassen und eine Leitungsposition zu erreichen. Die Juniorprofessur ist in ihrer derzeitigen Form nicht aus der Perspektive der Diversitätsförderung konzipiert, kann aber einen wichtigen Beitrag leisten, da hier eine Beschäftigung über mehrere Jahre angelegt ist. Hier sind entsprechende Nachbesserungen nötig. Junior- oder „Nachwuchsprofessuren“ ohne Entfristungsperspektive sind aus dieser Perspektive mit klaren Nachteilen verbunden. Neben dem Tenure Track braucht es transparente Kriterien und den Abbau von Abhängigkeiten, um diese Personen gezielt zu fördern.
V. Familienfreundlichkeit
Die Familienfreundlichkeit von JP und TT muss erhöht und Regelungen einheitlich gestaltet werden. In den meisten Fällen kollidiert die Zeit der Juniorprofessur mit dem Zeitpunkt der Familiengründung, auf der einen Seite ergibt sich durch ein JP erstmals die Möglichkeit längerfristig eine feste Position mit einem festen Lebensmittelpunkt zu haben, andererseits stehen durch die immer noch vorhandene Unsicherheit in der langfristigen Perspektive die JPs unter dem Zwang einer erfolgreichen Zwischen- und Endevaluation alles unterzuordnen, dadurch stehen insbesondere Frauen unter einem besonderen Druck. Aktuell gibt es unterschiedliche Regelungen darüber, wie Junior- und TT-Professuren familienfreundlicher gestaltet werden können, z.B. ob eine Familienverlängerung beispielsweise nur in der ersten oder auch in der zweiten Phase ermöglicht werden kann, ob eine Lehrdeputatsreduktion in Anspruch genommen werden kann usw. Derartige Komponenten sollten den Kandat*innen über einen Anspruch fest zugesichert werden und ihre Gewährung nicht rein im Ermessen der Institutionen liegen. Hier sollte ein bundesweiter Konsens zwischen den Bundesländern gefunden werden. Zudem erhöht sich die Familienfreundlichkeit auch durch die Einführung eines Tenure Track mit klaren Entfristungskriterien und durch den Abbau von Abhängigkeiten.
VI. Optionen bei negativer Evaluation
Sofern eine Junior- oder TT-Professur nicht erfolgreich absolviert wird, müssen Konzepte vorhanden sein, die verhindern, dass die Stelleninhaber*innen ohne jegliche Perspektive aus der Wissenschaft ausscheiden. Erstens ist nicht jede Person, die sich als für eine Professur nicht hinreichend geeignet erweist, auch gleichzeitig ungeeignet für wissenschaftliche Arbeit an sich. Es sollte also eine Stellenkategorie geschaffen werden, auf Personen nach einer negativen Junior- und TT-Professur-Evaluation wechseln können, sofern dieser Fall gegeben ist. Dies kann an der eigenen Institution erfolgen. Allerdings sollte auch über Kooperationen zwischen Universitäten zu diesem Zweck nachgedacht werden.
Überdies braucht es zweitens ein nachhaltiges Aussteigerkonzept für die berufliche Neuorientierung außerhalb der Universität, das deutlich über die vorhandenen Beratungsangebote hinausgeht. Wenn sich bei der Zwischenevaluation eine Tendenz abzeichnet, dass eine Entfristung im Anschluss an die Bewährungsphase gefährdet sein könnte, müssen gezielte Maßnahmen ergriffen werden: Dazu gehört einerseits die klare Kommunikation von Erwartungen, die es den Kandidat*innen ermöglichen, entsprechende Lücken noch zu füllen. Andererseits sollte mit ihnen konkret nach Möglichkeiten der Übernahme auf andere Dauerstellen innerhalb der Universität sowie außerhalb der Universität gesucht werden. Hierzu sollten die Universitäten je nach Fachbereich Kooperationen mit der Industrie, Kultureinrichtungen und anderen möglichen Arbeitgebern aufbauen, die von dem Fachwissen der ehemaligen Junior- oder TT-Professor*innen profitieren könnten, sofern für diese kein Verbleib an ihrer Institution möglich oder gewünscht ist.